Bilder gegen das Vergessen – Fotografie von Sternenkindern

November 21, 2018  •  Kommentar schreiben

Mit Sarah Nagel durfte ich über meine ehrenamtliche Tätigkeit für Dein Sternenkind sprechen. Sarah hat darauf einen wunderschönen Artikel geschrieben, den hier hier gerne mit Euch teilen möchte. Danke Sarah für die tolle Zusammenarbeit! Hier im Blog habe ich den Text noch mal für Euch. Danke auch an die "BNN der Sonntag" für die Veröffentlichung.

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Sein erster Einsatz war mitten in der Nacht. Um 2 Uhr schrillte der Handy-Alarm. Das Herz schlug Moritz Schuhmacher bis zum Hals, während er seine Ausrüstung ins Auto lud. „Es war die längste Autofahrt meines Lebens“, erinnert sich der Grafiker aus Waghäusel bewegt. Denn er wusste, was seine Aufgabe in den folgenden, dunklen Stunden sein würde: ein gerade erst verstorbenes Baby zu fotografieren. Moritz ist im Nebenberuf Hochzeitsfotograf. Doch ehrenamtlich hat er sich einer ganz anderen Aufgabe verschrieben. Für die Initiative „Dein Sternenkind“ ist er 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr in Rufbereitschaft. Er kommt dann, wenn in der Region um Karlsruhe, Mannheim und Heidelberg Frühchen den Weg in die Welt nicht erleben durften, oder Kinder unter oder kurz nach der Geburt versterben, und die Eltern in ihrer unendlichen Trauer einen großen Herzenswunsch haben: eine letzte, oft die einzige Erinnerung an das kleine Wesen, das ihnen viel zu früh genommen wurde.

„Viele Menschen sind erst mal regelrecht geschockt, wenn ich ihnen von dieser Aufgabe erzähle, denn der Tod von Babys ist noch immer ein Tabu in unserer Gesellschaft“, erklärt Moritz. „Aber das ist nicht so selten. In Deutschland kommen jedes Jahr etwa 2500 bis 3000 Sternenkinder zur Welt.“

Der Grafiker ist durch enge Freunde auf dieses Thema aufmerksam geworden. „Diese Freunde haben ihr Kind im achten Monat verloren, aber in den Stunden danach Bilder anfertigen lassen. Als ich sie damals besucht habe, redeten wir intensiv darüber. Dabei habe ich gemerkt, wie viel ihnen diese Fotos bedeuten, und mich gleich als Fotograf bei ,Dein Sternenkind’ registrieren lassen.“ Das war 2017. Seither hat der Alarm in Moritz’ Handy viermal geschrillt. „In manchen Momenten habe ich es schon bereut“, gibt er zu. Damals beim ersten Einsatz zum Beispiel, als er mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen geworden war und zum Krankenhaus fuhr.

„Mir schwirrten tausend Gedanken im Kopf herum. Ich habe mich gefragt: Wie reagieren die Eltern auf mich? Kann ich es emotional aushalten, ein verstorbenes Kind zu sehen? Bin ich in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen?“ Und dann, angekommen: die Stille im Zimmer, der kleine, leblose Körper des viel zu früh geborenen Mädchens in Decken gehüllt. „Ich wusste erst nicht, was ich sagen sollte. Aber dann erzählte ich die Geschichte von meinen Freunden. Ich wollte, dass die Eltern dieses Kindes wissen, dass mir die Situation nicht ganz fremd ist, dass ich mitfühlen kann.“

Als er dann die Kamera in die Hand nahm, war plötzlich alles ganz einfach. Die Kamera, das Schutzschild. „Ich bekam Distanz. Ich konnte das kleine Mädchen sanft in immer wieder andere Positionen legen, die Eltern miteinbeziehen. Wie man es sonst bei der Neugeborenen-Fotografie macht. Ich fotografierte das verstorbene Baby, als ob es noch lebendig sei. Das ist mein Anspruch bis heute.“

Als die Bilder im Kasten waren, war alles da: Trauer, Erleichterung. „Die Eltern weinten, und zugleich spürte ich schon in diesem Moment ihre Dankbarkeit.“ Denn diese Fotos sind das einzige, was vom Kind bleibt. Sie werden ein Leben lang betrachtet, manchmal voller Liebe, manchmal voller Melancholie. Moritz weiß: seine Arbeit bedeutet nicht nur anderen viel, sondern hat auch einiges in ihm selbst verändert. „Ich möchte etwas zurückgeben. Und egal, welche Probleme ich meine zu haben: Jeder Alarm bringt mich auf den Boden der Tatsachen zurück und macht mich dem Leben gegenüber demütig.“ Er erklärt: „Bei den Shootings kann ich mich mittlerweile emotional gut abgrenzen. Doch wenn ich die Bilder hinterher bearbeite, sitze ich oft ein paar Tränchen verdrückend, aber erfüllt vor dem Computer. Ich weiß, ich kann den Eltern etwas geben, um ihre Trauer zu verarbeiten.“ Er ist überzeugt: „Alles, was passiert, hat einen Sinn. Und ich glaube, dass der Tod nicht das Ende ist.“ Die verstorbenen Babys sind noch irgendwo, da ist er sich sicher. Auf jedem Fall im Herzen ihrer Eltern – und auf den Fotos von Moritz.

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